Mit Künstlicher Intelligenz zum perfekten Kundenerlebnis
Künstliche Intelligenz (KI) kann Routineanfragen im Customer Care schnell, präzise und personalisiert beantworten. So werden die Wartezeiten für Kundinnen und Kunden verkürzt und Customer Care Mitarbeiterinnen und Mitarbeitet entlastet.
Seit Ende 2023 setzen wir bei IONOS Künstliche Intelligenz im Customer Care ein und möchten in diesem Blogpost unsere zentralen Erkenntnisse teilen. Dabei haben wir zwei wichtige Regeln für den Erfolg identifiziert: (1) Der Hype und die hochgesteckten Versprechungen halten in der praktischen Umsetzung oft nicht mit der Realität Schritt. (2) Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der klaren Fokussierung auf den tatsächlichen Nutzen für unsere Kunden.
Lassen Sie uns gemeinsam herausfinden, wie KI den Kundenservice revolutionieren kann!
Künstliche Intelligenz im Customer Care: Warum jetzt?
Bots im Customer Care sind keine Neuheit und schon lange im Einsatz! Sie helfen, Anbieter und Kunden durch vordefinierte Gesprächswege clever vorzuklassifizieren, damit diese schnell den idealen Ansprechpartner finden. Aber das ist nicht alles – sie fördern auch die Selbsthilfe der Kunden und geben ihnen die Werkzeuge an die Hand, die sie brauchen, um Probleme eigenständig zu lösen.
Mit den aktuellen Entwicklungen im Bereich der Generativen KI, insbesondere mit Large Language Modellen, eröffnen sich vollkommen neue Möglichkeiten:
- Gesprochene Aussagen der Kunden lassen sich in geschriebenen Text übertragen und geschriebener Text kann wieder zurück in gesprochene Sprache übersetzt werden. Der resultierende Text gibt dabei deutlich präziser das Gesagte wieder bzw. die gesprochene Sprache ist deutlich weniger hölzern als noch vor wenigen Jahren.
- KI kann Texte aus verschiedenen Sprachen in andere Sprachen übersetzen. Dabei sind die KI-generierten Übersetzungen deutlich passgenauer auf die semantische Bedeutung des ursprünglichen Texts als früher.
- KI ist heute in der Lage, die semantische Bedeutung von Texten zu erfassen und zu klassifizieren. Damit lässt sich passgenau das Bedürfnis des Kunden identifizieren und die „richtige“ Antwort finden. Dies ist ein deutlicher Fortschritt gegenüber klassischen „Bots“, die nach Schlüsselworten suchten. War hier das entsprechende Schlüsselwort nicht in der Anfrage des Kunden dabei, konnte ihm nicht geholfen werden.
- Darüber hinaus ermöglicht es KI, Antworten in Freitext zu generieren. Diesem Freitext kann der gewünschte Stil mitgegeben werden – bei Bedarf für jeden Kunden ein anderer. Dies ist ein deutlicher Fortschritt gegenüber klassischen Bots, die stets mit identischen Formulierungen antworteten.
Integration von Künstlicher Intelligenz im Customer Care
Bei IONOS haben wir deshalb Ende 2023 damit begonnen, die neuen technischen Möglichkeiten zu analysieren und in unsere Kundenkommunikation zu integrieren. Wir sind dabei nicht alleine: Viele Unternehmen entwickeln in den letzten Monaten neue KI Lösungen für Customer Care. Klarna beantwortet mit einem KI Chatbot zwei Drittel der eingehenden Anfragen, Microsoft bietet im Kundenservice Zugriff auf Dokumentationen über einen Chatbot an und lässt Mitarbeiter damit einfacher nach Dokumentationen suchen. Und Amazon hat mit Rufus einen eigenen Chatbot auf seine Kundendaten trainiert.
Schritt 1: Künstliche Intelligenz fürs Ticketing
Unsere erste Iteration bestand darin, Kunden bei der Erstellung eines Tickets in unserem Ticketing System zu unterstützen. Wir nutzten dafür Retrieval Augmented Generation. D.h. wir haben alle unsere Dokumentationen im Hilfecenter in einer Vector Datenbank gespeichert. Erstellte ein Kunde ein Ticket, suchten wir in dieser Vector Datenbank den semantisch ähnlichsten Artikel und gaben das Ergebnis an den Kunden zurück. Ließ sich keine Antwort finden, antworteten wir mit dem allgemeinem Wissen des KI Modells.
Der Kunde konnte dann mit Hilfe dieser Lösung versuchen, sein Problem selbst zu lösen. Gelang das nicht, wurde mit einem Klick ein Support-Ticket erstellt, das dann im Nachgang von einem Customer Care Mitarbeiter beantwortet wurde.
Die Ergebnisse waren ernüchternd. Wir konnten nur in ca. 30% der Fälle dem Kunden helfen. In den übrigen Fällen öffneten die Kunden ein Ticket. Zudem waren die Kunden über den notwendigen zusätzlichen Schritt bei der Ticketerstellung eher genervt als begeistert.
Schritt 2: Interaktion im Chat
Bei der Analyse des Feedbacks unserer Kunden wurde schnell klar, dass bei vielen Problemen einfache Nachfragen, wie „Welches Produkt ist betroffen?“ oder „Um welche ihrer Webseiten geht es?“ notwendig waren. Wir fanden zwar „richtige“ Antworten, aber unser Produktportfolio ist so groß, dass auf dieselbe Frage unterschiedliche Antworten notwendig sind, abhängig davon welches Produkt betroffen ist.
Wir erweiterten die Oberfläche also um einen Chat und ließen den Kunden mit diesem Chat interagieren. Außerdem präsentierten wir den Chat offensiv als eigenständige Lösung und versteckten ihn nicht mehr im Bereich zur Erstellung von Tickets für das Ticketing System.
Dadurch stieg die Zahl der Fälle, in denen wir den Kunden helfen konnten an. Auch unsere Kunden nahmen die separate Lösung besser als den zusätzlichen Schritt im Ticketing System an.
Schritt 3: Vom Chat zum Assistenten
Dennoch ergab die weitere Analyse von Feedback Verbesserungspotential: Die Kunden versuchten die Anleitungen, die wir ihnen anboten, nachzuklicken. Dabei schloss sich das Fenster zum Chat. Das führte dazu, dass unsere Kunden die Anleitungen kopieren mussten und dann der Anleitung in einem anderen Fenster folgten. Für viele Kunden war diese Erfahrung frustrierend und sie gaben im Idealfall unter Angabe schlechten Feedbacks auf.
Unsere User Experience Experten überführten den Chat deshalb in ein eigenes Fenster (siehe Abbildung: Chat im eigenen Fenster). Dieses Fenster kann minimiert werden, wenn der Kunde den gesamten Bildschirm einsehen will, sonst bleibt das Fenster geöffnet während er sich durch die Webseite klickt. Der Kunde kann also der dargestellten Anleitung folgen, bis sein Problem gelöst ist und dann das Fenster schließen. Der Chat wird so zum Assistenten, der stets für den Kunden verfügbar ist.
Inzwischen bewerten ca 45% unserer Kunden die Interaktion mit dem KI Assistenten positiv.
Schritt 4: Weiterleitung zum Menschen
Was wir aber auch feststellten: Der Ansatz hilft nicht in allen Fällen. Oft sind die Aufgaben vor denen unsere Kunden stehen so speziell, dass es dafür entweder keine Standarddokumentation gibt, oder es müssen Lösungen gefunden werden, die über das direkt Konfigurierbare hinaus gehen. In diesen Fällen kann – und muss – auch weiterhin der Customer Care Mitarbeiter helfen.
Wir haben deshalb angefangen das Anliegen des Kunden nach Bedürfnissen zu klassifizieren. Bei Bedürfnissen, die KI nicht selbst lösen kann, leiten wir den Kunden gezielt an den Customer Care Mitarbeiter weiter. Dafür wird im Chat abhängig von der Uhrzeit und Verfügbarkeit der Customer Care Mitarbeiter unterschiedliche Alternativen angeboten (siehe Abbildung: Darstellung der Kontaktmöglichkeiten).
Der Kunde entscheidet sich für seine favorisierte Kontaktmöglichkeit. Der Customer Care Mitarbeiter, der ihm dann weiterhilft, wird von uns darüber informiert, dass der Kunde bereits im Chat Kontakt aufgenommen hat und kann auch auf die bisherige Konversation zugreifen. So kann dem Kunden möglichst schnell weitergeholfen werden und seine Zeit im Chat ist nicht verloren.
Unsere Learnings aus dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Customer Care
Bei der Entwicklung des KI Assistenten haben wir im Projektteam viel gelernt. Ausgehend von einem einfachen Proof of Concept, mit dem die Möglichkeiten von KI sehr viel versprechend waren – in nur wenigen Stunden entstand eine Lösung, die im Chat auf Fragen antworten konnte und sogar einfach Aufgaben für den Kunden ausführen konnte – bis zum KI Assistenten war es ein langer Weg.
Tatsächliches Problem vs. Proof of Concept
Während beim Proof of Concept schon schnell gute Antworten generiert wurden – da die Large Language Modelle mit dem Internet trainiert wurden, kennen viele Large Language Modelle unsere Hilfeseiten bereits – sind die Antworten oft nicht korrekt. Das liegt zum einen daran, dass sich Hilfeartikel ändern während sich das Produkt weiterentwickelt. Das lässt sich lösen, indem das Large Language Model mit aktuellen Artikeln angereichert wird. Ein Nachteil dabei aber: Wenn das Produktportfolio, wie bei uns, aus vielen ähnlichen Produkten besteht, gibt es viele semantisch sehr ähnliche Antworten aus denen für den aktuellen Use Case die richtige Antwort herausgefunden werden muss. Dieser Schritt ist nicht trivial und erforderte in unserem Fall einiges an Engineering.
Marketing Versprechen vs. Realität
Ein Feature, das aktuelle Large Language Modelle bieten, ist das so genannte „Function Calling“. Dabei wird in der Kommunikation mit dem Kunden erkannt, dass die Anfrage eine Aktion auslösen sollte. Also, dass beispielsweise die Kundenadresse im System geändert werden muss. Diese Aktion lässt sich dann Auslösen. Im Idealfall werden die benötigten Daten, im Beispiel die neue Adresse, vom Large Language Modell direkt beim Kunden abgefragt. In der Theorie und in einigen Artikeln zum Thema funktioniert dies auch wunderbar.
Wir haben aber schnell festgestellt, dass die Aktionen nicht in 100% der Fälle korrekt ausgelöst werden. Es muss sich also bei Kunden rückversichert werden, dass die Anpassungen auch wirklich gewünscht werden. Ggfs. muss auch geprüft werden, ob die Anpassung, die der Kunde wünscht, überhaupt möglich ist. So muss jede einzelne Aktion individuell geprüft und implementiert werden. Die Erwartungen auf Grund von Marketingversprechen, dass wir einfach nur die Namen der Aktionen und die notwendigen Parameter spezifizieren müssen, hat sich hier nicht erfüllt.
Crossfunktionales Team vs. Team von KI Experten
Im Laufe des Projekts haben wir viele Anpassungen im Hintergrund gemacht. Wir haben Prompts optimiert, welche die Antworten der KI steueren. Wir haben die Strategien optimiert, mit denen wir nach den besten Hilfeartikeln suchen und vieles mehr. Großen Fortschritt machten wir aber besonders dann, wenn UX Experten, Customer Care Mitarbeiter und Experten für Künstliche Intelligenz zusammen über die nächste Iteration diskutierten. Im Austausch zwischen technisch Möglichem und Kundenwunsch konnten wir Anpassungen machen, die auch in der Wahrnehmung unserer Kunden eine Verbesserung waren. Jede KI Lösung ist eben nicht nur ein Stück „High Tech“, sondern ein Werkzeug, das einen Kundennutzen befriedigen muss.
Weshalb ich auf das Projekt stolz bin
Liest man die Erfolgsmeldungen anderer Anbieter, so kommt schnell der Eindruck auf, dass es trivial ist, einen Chatbot aufzubauen und diesen für einen Großteil der Kundenanfragen zu nutzen. Unsere Erfahrungen zeigen, so einfach ist es nicht. Alle Erfolgsmeldungen sind nach meiner Überzeugung mit Vorsicht zu genießen. Nur, wenn der Use Case sehr einfach ist, lässt sich mit einem kleinen Team in kurzer Zeit eine perfekt Lösung erstellen. Wird es komplizierter, braucht die Lösung Zeit.
Trotzdem funktioniert unser AI Assistent heute sehr gut: Wir unterstützen jede Woche Kunden in rund 10.000 Chat Sessions. Wir bieten den Customer Care KI (Künstliche Intelligenz) Bot in vier Märkten (Deutschland, Spanien, UK und USA) an. Dabei kommt er neben englischen Texten auch mit spanischen und deutschen Fragen gut zurecht. Von den Kunden, die mit uns über die KI in Kontakt treten, beantworten wir in 40% der Fälle das Problem so gut, dass die Kunden danach keinen Kontakt mehr zu uns aufnehmen. In den übrigen Fällen leiten wir in etwa der Hälfte aller Fälle direkt an den Customer Care Mitarbeiter weiter.
Ich durfte unser Projektteam fast ein Jahr begleiten. Vielen Dank an alle Kollegen, die dieses Projekt zu einem Erfolg gemacht haben und auch weiterhin machen!