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Weg vom Reflex – hin zur Perspektive

Strategische Autonomie als Antwort auf Abhängigkeiten: Europas Weg zu digitaler Souveränität und eigener Cloud-Infrastruktur.

Strategische digitale Autonomie statt Hohelied der Klage

„Also on November 1st, we will impose Export Controls on any and all critical software.“

Eines der jüngsten Zitate des US-amerikanischen Präsidenten, geäußert in einem Zusammenhang, der eigentlich komplett auf China abzielt, zeigt uns ein Dilemma auf. Dieser bloße Satz, der zudem voller auslegungsbedürftiger Adjektive steckt, hat umgehend für Aufmerksamkeit gesorgt und Besorgnis hervorgerufen. Zum x-ten Mal wird dabei aufgezeigt, dass IT als „Handelswaffe“, als politisches Druckmittel eingesetzt werden könnte.

IT als Druckmittel: Europas strategisches Dilemma

Dass das so kommen kann, steht auch meines Erachtens außer Frage. Jedoch sollten wir eher darüber nachsinnen, was wir in Deutschland, in Europa tun können: 

Wie kommen wir aus der Position des Klagens und Mahnens in eine Position des aktiven Handelns? Eines Handelns, das die wahrlich nicht einfache Position der Regierungen, insbesondere der von Deutschland und Frankreich, einbezieht und statt theoretischer Maximalforderungen auf praktische Umsetzung setzt.

Donald Trumps zügige Replik auf die Ankündigung Chinas, ab November Exportkontrollen auf beinahe alle Produkte einzuführen, darunter auch die berühmten „Seltenen Erden“, ist meiner Ansicht nach erst einmal ein mit starken Worten unterlegter Reflex. Nichtsdestotrotz unterstreicht er die Wichtigkeit der Frage der Souveränität. „Kritische Software“, wie auch immer definiert, kann künftig potenziell die mächtigste Waffe überhaupt sein. Ohne Software ist bald alle Hardware NICHTS!

Digitale Abhängigkeit als Herausforderung für Europa

Niemand mag bestreiten, dass Europa von US-amerikanischer Software und oft auch Technologie abhängig ist. Und diese Abhängigkeit erstreckt sich in den Kernbereich staatlicher Souveränität hinein. Unbestreitbar gehört hier die Verteidigung dazu. Sie ist Teil dieses Kernbereichs. An ihrem Beispiel sei hervorgehoben, wie sich Deutschland, wie Europa unabhängiger machen kann, um nicht mehr vom „Zitat des Tages“ überrascht zu werden und bloß reaktiv das Hohelied der Klage anzustimmen. 

In alten Schriften heißt es mit Weh und Schluchzen: „Unser Wasser müssen wir um Geld trinken; unser Holz muss man bezahlt bringen lassen.” Die Analogie zu digitaler Technologie und ihrer Abhängigkeit von nichteuropäischen Lieferanten liegt hier natürlich nahe.

Die enorme Wichtigkeit der nationalen Souveränität im digitalen Raum ist eine Verpflichtung. Und im Prinzip der „STRATEGISCHEN AUTONOMIE“ sehen wir, dass Deutschland und Frankreich dieses Problemfeld längst erkannt haben. Im Sektor Verteidigung sehen wir ein positives Beispiel.

Verteidigung als Vorbild: Souverän denken, europäisch handeln

So arbeitet das Start-up Helsing in einem Konsortium, das unter Zuhilfenahme der Cloud ein sogenanntes Future Combat Air System (FCAS) erschaffen soll. Unter der Ägide des Bundesamts für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr sollen mehrere Unternehmen eine Infrastruktur für cloudbasierte Künstliche Intelligenz entwickeln. Beteiligt sind die Helsing GmbH, die Schönhofer Sales and Engineering GmbH (eine Tochter von Rohde & Schwarz) und die IBM Deutschland GmbH. Ziel ist es, KI als Kern moderner luftgestützter Kampfführung voranzutreiben.

Infrastruktur entscheidet: Digitale Souveränität beginnt bei der Cloud

Die Cloud spielt im Future Combat Air System von Helsing eine zentrale Rolle, speziell in Form einer sogenannten Combat Cloud bzw. als KI-Backbone. Diese Cloud-Infrastruktur vernetzt sämtliche Luftfahrzeuge, unbemannte Systeme und Bodenstationen in Echtzeit, um große Datenmengen zu sammeln, zu analysieren und zu verteilen. Dadurch entsteht ein digitales Nervensystem, das mithilfe von KI unterstützt wird, um Sensordaten auszuwerten, Missionen zu planen und den – interessanter neuer Fachbegriff – Effektoreinsatz zu steuern.

Helsing ist im Konsortium, das diese KI-Backbone-Plattform entwickelt, verantwortlich für KI-Entwicklungs- und Trainingsprozesse sowie den KI-Einsatz „on edge“ auf militärischen Plattformen. Die Plattform stellt eine querschnittliche, interoperable Entwicklungsumgebung dar, die es erlaubt, KI kollaborativ und nachvollziehbar zu entwickeln und in den militärischen Einsatz zu bringen. Die Cloud-Lösung ermöglicht dabei eine flexible, performante und sichere Infrastruktur, die essenziell für die digitale Vernetzung und die Implementierung von KI im FCAS ist.

Bei der Cloud handelt es sich um die Secure Cloud (VS-Cloud) von IBM, Red Hat und Secunet. Sie ist als SINA-Architektur Grundlage für vielfältige IT-Bedarfe der Bundesregierung und verfügt über die nötige Diskretion. 

Zukunftssicherheit made in Europe

Vor die Klammer gezogen, lässt sich hieraus zweierlei ableiten: Um dem aufgeregten Schnattern nach jeder Reaktion oder Ankündigung aus den USA und  China zu entkommen, sollte Europa besser auf seine eigenen schlummernden Stärken setzen. Kernbereiche der Souveränität sollten zumindest teilweise auf europäische Komponenten zurückgreifen. Gerade bei Kommoditäten wie digitaler Infrastruktur, die für diese Kernbereiche nötig sind, ist es meines Erachtens von höchstem Interesse, europäische Ressourcen einzubinden.

Deutsche Anbieter wie IONOS oder secunet sind hier als Möglichkeit zu nennen, strategische Autonomie analog zur Helsing FCAS stärken zu können. Da Cloud-Infrastruktur mittlerweile das Fundament unter fast allem Digitalen darstellt, ergibt sich hier der am besten greifbare Hebel für mehr strategische Autonomie. Darüber hinaus muss Europa unbedingt aus seinen Stärken heraus neue Handlungsfelder angehen, um digital relevant zu bleiben (Lektüretipp dazu). Was wir aber auch lernen: Allzu oft sind auch US-amerikanische Unternehmen mit im Spiel, wenn es gilt, Komplexität in IT umzusetzen. Es kann dies nur Ansporn sein, uns hier noch mehr zu emanzipieren.

Statt das Hohelied der Klage anzustimmen, sollten wir lieber nach brennenden Dornbüschen Ausschau halten. Und die Chancen aufgreifen, die beispielsweise der geplante „European Air Shield“ bietet.

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